DIE WAHRHEIT ÜBER DEN REP-EFFEKT

Als Fitnessexperten wissen wir, dass Widerstandstraining ein wichtiger Bestandteil eines ausgeglichenen Trainings ist. Aber wie ist es mit einem Programm wie BODYPUMP – leichte Gewichte, viele Wiederholungen – im Vergleich zu traditionellerem Krafttraining? Wir haben uns mit Dr. Nigel Harris, Senior Lecturer der Trainingswissenschaften, getroffen und wichtige Einblicke in High-Rep-Trainings erhalten. Davon profitieren deine Mitglieder und du.

SARAH SHORTT: Als allererstes, warum benötigen wir überhaupt Krafttraining?

Dafür gibt es viele Gründe! Gesundheitsbehörden empfehlen es und wir wissen, dass Widerstandstraining ein wichtiger Bestandteil eines gesunden Trainingsplans ist. Letztendlich muss man mindestens Gewichte heben, um Muskelmasse und Kraft zu erhalten. Der Verlust von Muskelmasse ist meist mit dem Alter verbunden. Nachdem unser Lebensstil sich immer mehr auf sitzende Tätigkeiten ausweitet, sehen wir, dass dieser Rückgang mittlerweile viel früher beginnt.

Muskelmasse ist nicht nur funktionell, sondern auch metabolisch wichtig. Muskelmasse erhält die Fähigkeit, Glukose in der Nahrung umzuwandeln, was wiederum bei der Vermeidung von Gesundheitsproblemen wie Typ-2-Diabetes hilft. Bei alltäglichen Aktivitäten wirken Muskeln Gelenkunterstützend und stärken – und es ist wohl eines der besten Dinge, um dich gut aussehen zu lassen!

Wie sah der klassische Ansatz von Krafttraining aus?

Klassischerweise dachten bei Gewichtstraining viele an Training für Männer zwischen 18–30 Jahre, die Muskelmasse aufbauen und breiter werden wollten. Es gab die Auffassung, dass man nur mit großen Gewichten trainiert, um Ergebnisse zu erzielen, und dass das Heben von Gewichten nur körperliche Leistungen verbessert – wie Power oder Explosivität.. Heute hat sich der Fokus beim Gewichtheben hin zu einer funktionalen Kraft verändert – mehr Hilfe bei Alltagsaktivitäten und Gesundheit statt eines massiven Bizeps.

Auf Sets und Wiederholungen bezogen – wie sah hier klassisches Krafttraining aus?

Klassischerweise: schwere Gewichte und wenige Wiederholungen. Wenn man richtig viel Kraft aufbauen wollte, nahm man schwere Gewichte für 5–7 Wiederholungen, mit vielen langen Pausen dazwischen, und wenn man Masse aufbauen wollte, dann 10 Wiederholungen mit kurzer Pause – und zwar solange, bis der Punkt der Erschöpfung erreicht war, also keine einzige Wiederholung mehr ging.

Der klassische Ansatz von einem Training mit vielen Wiederholungen ist die Muskelkraft ohne viel Masse – was als Muskeltonus bezeichnet wird, ohne breit zu werden.

Wie sieht die heutige Lehrmethode aus?

Was kürzlich ans Licht kam, ist dass die Erfolgsparameter im Wiederholungsbereich nicht so streng wie gedacht sind. Es ist nicht unbedingt gegeben, dass man, wenn man mit schweren Gewichten trainiert, massig und breit wird, dabei wenig Muskeltonus aufbaut und wenn man mit leichten Gewichten arbeitet, nicht so viel Kraft aufbaut – aber den Tonus bekommt.

Deine Ergebnisse hängen auch immer von deiner genetischen Begebenheit ab und werden von der natürlichen Veranlagung zum Muskelaufbau beeinflusst. Manche Menschen haben die Genetik, die ihnen ermöglicht, mit egal welcher Art von Training, Muskeln aufzubauen. Andere werden sich beim Muskelaufbau nicht so leicht tun und diese Menschen werden sehr weniger wahrscheinlich mit High-Rep-Training Muskelmasse dazu gewinnen. Das Trainieren mit Gewichten ist eine komplexe Sache; es geht nicht nur um Wiederholungen, sondern auch um die Menge, Frequenz, wie viel Pausen du zwischen den Sets einlegst und um Ernährung und Gene.

Ich habe Frauen sagen hören, dass sie Gewichtstraining meiden, weil sie nicht massig werden wollen. Ist das ein legitimer Einwand bei einem High-Rep-Training?

Für Frauen ist es generell schwieriger, Muskelmasse aufzubauen und dies ist bei High-Rep-Training definitiv der Fall. Wenn Frauen viel High-Rep-Training absolvieren und dazu einen Haufen Proteine essen, dann können sie vielleicht mit einem Muskelwachstum auf das Programm reagieren – die meisten aber nicht. Sie neigen einfach nicht dazu, bei einem High-Rep-Training so große Mengen an Muskeln aufzubauen, wie es ein Mann tun würde.

Was gibt es für jüngste Entwicklungen in der Wissenschaft des Krafttrainings?

Es wird viel mehr Aufmerksamkeit auf deinen Endpunkt gelegt, wenn du keine einzige Wiederholung mehr schaffst. Neue Informationen deuten darauf hin, dass weniger die Anzahl der Wiederholungen für einen potentiellen Muskelaufbau entscheidend sind als der Punkt, an dem du das Gewicht nicht mehr heben kannst.

Ist es sinnvoll ein High-Rep-Training zu absolvieren, auch wenn man seinen Punkt der Erschöpfung nicht erreicht?

Ja, definitiv. Auch wenn du nicht an diesen Punkt kommst, hat das Training viele metabolische Vorteile. Muskeln mit einer Art Kontraktion zu reizen, hilft dem Körper, aufgenommene Kalorien richtig zu verwerten – und das hilft wiederum bei der Glukoseverarbeitung. Und wie wir wissen, ist Diabetes ein zunehmend globales Problem. Es gibt viele Leute, die wahrscheinlich vordiabetisch sind, aber nichts davon wissen. Der andere Vorteil ist natürlich auch, dass man seine Kraft steigert.

Was hältst du von der Veränderung auf High-Rep-Training?

Ich denke, das ist eine gute Sache, weil Menschen ermutigt werden, mit Gewichten zu arbeiten, die es vorher vielleicht nicht getan hätten. Manche Menschen entgegnen diesem mit einem Stigma. Sie glauben, sie würden sich in den unglaublichen Hulk verwandeln, sobald sie den Gewichtsbereich betreten.

Das Training eignet sich besonders für Frauen, die animiert werden, nicht nur Cardio zu absolvieren, sondern auch eine Form von Widerstandstraining anzugehen, bei dem sie sich wohlfühlen. Ein Großteil des Trainings ist es, sich mit dem Heben anzufreunden, sodass die leichteren Gewichte mit einer guten Technik gehoben werden können. In mancherlei Hinsicht ist Krafttraining vollkommen kontraintuitiv – wir verbringen unser Leben damit, Unkomfortables zu vermeiden. Ein Training mit hohen Wiederholungszahlen hilft, aus seiner Komfortzone herauszutreten, Ergebnisse zu erzielen und dabei das Workout zu genießen.

Was passiert, wenn die Grenze zwischen Widerstandstraining und Cardio verschwimmt?

Die meisten nehmen an, dass Cardio auf dem Laufband oder Bike stattfindet oder Aerobic ist, wohingegen Widerstandstraining Gewichte stemmen bedeutet – und diese zwei Bereiche sollten sich niemals kreuzen. Entsprechend stemmst du Gewichte für deine Muskeln und absolvierst Cardio für dein Herz. Aber jeder, der schon mal ein Set aus 10–15 Squats trainiert hat, weiß, dass das gut für das Herz und die Fitness ist. Wenn du dein Programm so aufbaust, dass du nicht viel Pause zwischen den Übungen hast – insbesondere beim Wechsel von einer Muskelgruppe zur anderen – dann ist das sehr kardiovaskulär. Wenn du weder klassisches Herz-Kreislauf- noch intensives Krafttraining magst – dann kannst du die beiden miteinander kombinieren!

Ist ein HIIT-Widerstands-Workout wie LES MILLS Grit Strength genauso kräftigend wie ein Kraftstraining?

Ja, absolut. Forschungen belegen, dass du eine sehr gute Kraft und auch kardiovaskuläre Ergebnisse mit Widerstandstraining erzielen kannst, wenn es richtig strukturiert ist. Ein Modell wie dieses oder auch ein Zirkeltraining punkten doppelt dank Muskelaufbau und Herz-Kreislaufverbesserungen zur gleichen Zeit.

Kannst du uns einen Einblick geben, wie die Zukunft des Widerstandstrainings aussehen wird?

Es gibt ein vermehrtes Interesse bezüglich individuellen Trainingseinheiten und wie man maßgeschneiderte Programme kreieren kann, die auf die Genetik des Einzelnen Rücksicht nehmen. Das kommt vor allem daher, dass Training bei den einen gewünschte Erfolge erzielt und bei den anderen nicht, und es gibt Menschen, die auf verschiedene Sportprogramme unterschiedlich reagieren. In Zukunft könnte es einfacher sein, zu erkennen, wie du auf ein Training anspringst. Somit kann ein auf dich zugeschnittenes Programm entworfen werden, das deine Genetik und körperliche Verfassung berücksichtigt. Das Gute daran ist, dass unabhängig deiner genetischen Voraussetzungen, du dein Training verändern kannst.

Ein zweiter Fokus liegt in Kurzfrequenzbelastung – klassisch zu sehen bei HIIT. Man ist von der Annahme abweicht, dass hohe Volumen ausschlaggebend sind, und hin zu sehr komprimiertem, hochintensivem Training gerückt. Die Leute suchen nach dem schnellsten Weg, fit zu werden und gut auszusehen – ohne dabei Stunden im Fitnessstudio zu verbringen. Das passiert gerade auch beim Widerstandstraining – Wie viele Sets muss ich machen, wie oft muss ich trainieren…? Die Formel wurde bisher noch nicht gefunden.

Ein letzter Gedanke?

Das Wichtigste, was du für deine Gesundheit tun kannst, ist Krafttraining. Du musst etwas finden, dass du regelmäßig tun kannst und willst. Und wenn das ein High-Rep-Training ist – dann ist das fantastisch.

Dr. Nigel Harris ist Senior Lecturer der Trainingswisschenschaften an der Auckland University of Technology. Seine Forschung konzentriert sich auf die Beurteilung und Verbesserung der metabolischen Gesundheit durch Training, mit Schwerpunkt auf Widerstandstraining und hochintensive intermittierende Übungen.