Man bringt uns bei, den Unterricht an die Teilnehmer anzupassen, die vor uns stehen… aber hat dir schon mal jemand gezeigt, wie du deinen Unterricht an die Tageszeit anpasst?
Die Frühaufsteher-Class
Häufige Merkmale der Teilnehmer von frühen Morgenclasses:
Zerzauste Haare, tragen möglicherweise ihre Sportklamotten verkehrt herum (wenn sie denn überhaupt zusammenpassen), haben eine eingeschränkte Wahrnehmung und/oder ihnen fehlt gänzlich die Koordination.
Wie man eine Frühaufsteher-Class unterrichtet:
Frühmorgens sind Teilnehmer zerbrechliche Wesen. Die einen hatten vielleicht noch nicht einmal ihren Guten-Morgen-Kaffee, für andere ist die Class das erste an diesem Morgen, was sie sehen und hören und wiederum andere haben sich wohl im Dunkeln angezogen.
Unsere Aufgabe als Instruktor für die Frühaufsteher ist es vor allem über keinen von ihnen zu urteilen (als ob wir für sowas überhaupt wach genug wären – kümmern wir uns lieber um unser eigenes verdrehtes Top), sondern vielmehr unsere halb-komatösen und/oder halb-angezogenen Teilnehmer aufs Workout vorzubereiten. Das heißt, die Musik- und Mikrofonlautstärke beginnen ein paar Dezibel niedriger als üblich und bauen sich allmählich bis zu einem Mittagsniveau auf (siehe unten), dabei ist das Timing überaus wichtig. Lässt du die Lautstärke zu lange niedrig, nicken dir deine Teilnehmer wieder weg. Drehst du die Lautstärke zu bald auf erschreckst du sie… Hat dich schon mal jemand urplötzlich aus dem Schlaf gerissen? Wie hast du dich dabei gefühlt? Multipliziere das jetzt mit 50 und das ist die Class, die du versuchst für dich zu gewinnen.
So, da wir nun die feinen Sinne unserer Teilnehmer kennen, nehmen wir uns ihre Wahrnehmung und Reflexe vor. Es ist eine berechtigte Annahme, dass der IQ am frühen Morgen 50 Punkte niedriger ausfällt und man die Reflexe einer Katze hat. Einer toten Katze. Der Schlüssel ist daher eine einfache Coachingsprache mit so wenigen Wörtern, wie möglich – die frühe Morgenstunde ist kein Platz, um mit neuen Cues zu experimentieren.
Deine Pre-Cues müssen auf dem Punkt sein. Wenn du willst, dass deine Frühaufsteher-Class rechtzeitig auf den nächsten Move zur Musik reagiert, solltest du lieber schon 8 Takte früher mit deinen Pre-Cues beginnen, als gewohnt.
Der Instruktor für die Frühaufsteher braucht ein dickes Fell, metaphorisch und buchstäblich. Morgens kann es nicht nur eiskalt sein (in einigen Regionen der Welt), sondern auch wahnsinnig… schwerfällig. Geh am besten von vornherein davon aus, dass all deine Fragen rhetorischer Natur sind. Falls du wider erwarten doch mal eine Antwort bekommst – nun dann ist das wirklich etwas Besonderes, genieße es.
Es liegt nicht an dir. Es liegt auch nicht an deinen Teilnehmern. Es liegt an der Tageszeit.
Das Folgende geht an all die Frühaufsteher-Instruktoren:
Ihr seid die wahren Helden.
Alle der oben genannten Punkte dürfen nicht auf dich zutreffen. Du musst wach sein. Du musst dich an die Choreo und Cues erinnern, sie rechtzeitig ansagen, einen glücklichen, energiegeladenen und aufmerksamen Eindruck machen und dich nicht darum kümmern, dass niemand deine Existenz wahrnimmt. Wir bewundern dich.
Die Lunchtime-Class
Häufige Merkmale der Teilnehmer von Lunchtime-Classes:
Tragen eine dicke Schicht Make-up, hechten kurz vor knapp in die Class, verlassen die Class fünf Minuten früher
Wie man eine Lunchtime-Class unterrichtet:
Die Lunchtime-Classes sind die Businessmeetings unter den Classes und alle stehen extrem unter Zeitdruck. Deine Teilnehmer versuchen stets das Unmögliche: in die Class kommen, Equipment aufbauen, umziehen, Class absolvieren, Equipment abbauen, umziehen und zurück an den Schreibtisch. Und das in der 60-minütigen Mittagspause.
Unser Job als Lunchtime-Instruktor ist: Zur. Sache. Kommen. Und. Pünktlich. Sein. Niemand hat Zeit für lange Intros und Pausen zwischen den Tracks. Deine Class sollte lieber auf die Sekunde genau anfangen und am besten 30 Sekunden früher zu Ende sein.
Mittags hat der Instruktor mit folgender Herausforderung zu kämpfen: Kommunikation, die normalerweise vor und nach der Class stattfindet, muss sich nun während der Class abspielen (wie gesagt, sie kommen kurz vor knapp und gehen fünf Minuten früher). Und wenn jemand Neues in deine Class kommt? Du musst ihnen beim Aufbau des Equipments helfen, eine Bindung schaffen, darauf achten, dass sie keine Verletzungen haben, den Namen lernen, herausfinden, ob sie schon einmal Gruppenfitness gemacht haben, wo sie ihre Sportleggins herhaben und mit ihnen über das Wetter reden das alles noch während des Warm-ups. Verabschiede dich von dem Gedanken dich nach der Class noch mit den Leuten zu connecten oder ein nettes Gespräch zu führen. Du kannst von Glück sagen, wenn 10 Prozent deiner Teilnehmer für den Cool-down noch da ist.
Deine Teilnehmer werden sich wahrscheinlich ernst und pragmatisch verhalten, da sie damit beschäftigt sind von Schreibtisch auf Deadlifts umzuschalten. Scheue dich nicht, sie aus dem Arbeitsalltag herauszuholen, indem du deine Intros von Woche zu Woche variierst, dein Coaching anders gestaltest und deine Teilnehmer auf viele unterschiedliche Arten motivierst. Du möchtest ja nicht nur, dass deine Lunchtime-Crew ein unglaubliches Workout absolviert, sondern auch eine mentale Pause von ihrer Arbeit bekommt, damit sie sich nach deiner Class sowohl körperlich großartig als auch mental erfrischt fühlt.
Das Folgende geht an alle Lunchtime-Instruktoren:
Im Vergleich zu den anderen Tageszeiten musst du hier viel Arbeit in kurzer Zeit erledigen. Hinzu kommt, dass du wahrscheinlich selbst unter Zeitdruck stehst und dich beeilen musst in deiner eigenen Mittagspause rechtzeitig von deinem Arbeitsplatz in deine Class zu kommen.
Danke, dass du bereit bist, deine Mittagspause zu opfern, damit andere ihrem Alltag für einen Moment entfliehen können – mach dir in deinem unendlich großen Herzen bewusst, dass du zu ihrer Produktivität für den Rest des Tages beigetragen hast (Naja, vielleicht nicht du allein. Es gibt ja noch Kaffee).
Die Feierabend-Class
Häufige Merkmale der Teilnehmer von Feierabend-Classes:
Eine gesunde Mischung aus glücklichen und traurigen Gesichtern. Möglicherweise fehlt ein Teil ihres Trainingsoutfits, das sie in der Eile am Morgen vergessen haben einzupacken.
Wie man Feierabend-Classes unterrichtet:
Hier treffen zwei Arten von Motivation aufeinander, die gegensätzlicher nicht sein können: die eine Hälfte ist super gechillt und wahnsinnig begeistert. Es ist ja das Ende eines langen Tages und die Teilnehmer können es kaum erwarten loszulegen, Spaß zu haben, ihrer Freude verbal Ausdruck zu verleihen (Wuhuuu!) und sich ganz und gar auszupowern. Die andere Hälfte hat sich den ganzen Tag über Ausreden überlegt, nicht ins Gym zu gehen, aber hier sind sie nun und ergeben sich wahrscheinlich müde und erschöpft ihrem Schicksal.
Stell sicher, dass du beide Teilnehmergruppen genau gleich behandelst: mit Begeisterung, Persönlichkeit und in einer ordentlichen Lautstärke (je nach Programm versteht sich). Und wenn du viel Glück hast, ist die Energie der besagten begeisterten Teilnehmer so ansteckend, dass sie die müden und erschöpften mitreißt – im Grunde machen sie dann deinen Job.
Bis jetzt hast du als Feierabend-Instruktor noch nichts getan.
Die Herausforderung für Instruktoren, die Feierabend-Classes unterrichten, ist es, sich nicht von den überdrehten Teilnehmern anstecken zu lassen. Ich sage dir auch warum: Wenn wir uns von der Energie unserer Classes mitreißen lassen, neigen wir dazu zu schreien, unsere Coaching-Ebenen zu vergessen (wenn uns überhaupt noch einfällt, auf der Motivationsebene zu coachen) und unterrichten unsere Classes von Anfang bis Ende mit der gleichbleibenden Intensität und Lautstärke jenseits von Gut und Böse. Das langweilt nicht nur deine Teilnehmer, sondern ist nach fünf Minuten auch einfach nur angsteinflößend. Du musst dich da etwas zurückhalten, um klar denken zu können.
Im Wesentlichen besteht dein Job als Feierabend-Instruktor darin, der Energie deiner Teilnehmer Raum zu geben (ein Hüter der Energie sozusagen) und das ist so einfach: eine Killer-Playlist zusammenstellen, Musik laut aufdrehen und mehr als eine Ebene coachen. Fertig.
Das Folgende geht an alle Feierabend-Instruktoren:
Es ist grausam und eine seltsame Strafe, wenn man seine Energie in einer Class im Zaum halten muss. Das höchste der Gefühle als Instruktor ist, sich von der Energie der Teilnehmer mitreißen zu lassen. Aber das gilt leider nicht für dich, lieber Feierabend-Instruktor! Du musst der Vernünftige in der Runde sein und auf den Höhenflug verzichten, den Gruppenfitness in uns allen von auslöst. Stattdessen solltest du deine Begeisterung so weit herunterschrauben, dass du noch geradeaus denken kannst. Du, Feierabend-Instruktor, bist ein Heiliger. Wir danken dir für deine persönlichen Opfer.