Wie definieren Sie als Verfechter von Corporate Social Responsibility (z. Dt. Unternehmerische Sozialverantwortung) diesen Begriff?
Corporate Social Responsibility (CSR) bezeichnet die gesellschaftliche Verantwortung eines Unternehmens. Sozial- und Umweltthemen werden in den Kernprozessen eines Unternehmens und im Umgang mit Stakeholdern umgesetzt und gelebt. Ziel ist es, ein wirtschaftlich rentables Unternehmen zu schaffen, das sich jedoch gleichzeitig seiner sozialen Verantwortung bewusst ist. Wir haben also drei Bereiche: Rentabilität, Sozialbewusstsein und Umweltbewusstsein. Ein ‚verantwortungsvolles‘ Unternehmen bringt alle drei in Einklang.
Was meinen Sie mit ‚Stakeholder‘? Investoren?
Stakeholder sind alle Person oder Organisationen, die von den Aktivitäten eines Unternehmens direkt oder indirekt betroffen sind oder die irgendein Interesse an dessen Aktivitäten haben. Im engeren Sinne sind es also Investoren, Kunden und Mitarbeiter. Im weiteren Sinne gehören auch die breitere Öffentlichkeit, Journalisten, Lieferanten, Freunde von Mitarbeitern und sogar Konkurrenten dazu. John Muir, einer der ersten Naturschützer sagte einmal: „Wenn jemand an einer Sache in der Natur zerrt, wird er feststellen, dass diese mit dem Rest der Welt verbunden ist.“ Ich finde das ist eine schöne Metapher für die heutige Geschäftswelt. Die erfolgreichsten Unternehmen sind die, die verstehen, dass alle Stakeholder in irgendeiner Weise miteinander verbunden sind und dass sich Handlungen schnell von einer Gruppe auf eine andere übertragen können.
Stehen bei CSR Spenden und Wohltätigkeit im Vordergrund?
Dass es bei CSR hauptsächlich darum geht, ist ein Irrglaube. Eine Spende zeigt zwar, wie ein Unternehmen Gewinne nutzt, jedoch nicht, wie diese erwirtschaftet wurden. Der Schuhhersteller TOMS ist ein Beispiel dafür, wie ein Unternehmen CSR fest in seine Philosophie verankern kann. Auf einer Argentinienreise erlebte Blake Mycoskie, wie Kinder ohne Schuhe aufwuchsen und welche Beschwerden dies mit sich brachte: beispielsweise konnten sie nicht zur Schule gehen. Er wollte ihnen helfen und gründete TOMS. Ohne die geringste Erfahrung in der Schuhbranche gründete er ein gewinnorientiertes Unternehmen, das für jedes verkaufte Paar Schuhe einem bedürftigen Kind ein neues Paar Schuhe spendet. One for One. In Zusammenarbeit mit humanitären Organisationen hat TOMS bis heute über 60 Millionen Paar Schuhe gespendet. Diese Schuhe werden oft nachhaltig in dem Land produziert, in dem sie benötigt werden, was zusätzlich Arbeitsplätze schafft. Heute erfreut sich das One for One-Modell einer weltweiten Bewegung in unterschiedlichsten Branchen. Inzwischen wurde es durch TOMS Brillen erweitert. Für jede verkaufte Brille unterstützt TOMS eine hilfsbedürftige Person dabei, ihr Augenlicht zurückzugewinnen.
Warum gewinnt CSR Ihrer Ansicht nach zunehmend an Bedeutung?
Das Bewusstsein der Kunden hat sich verändert. Sie informieren sich über die Herkunft von Produkten und Dienstleistungen und möchten alle Produktions-, Verarbeitungs- und Vertriebsstufen zurückverfolgen können. Das wiederum bringt Unternehmen dazu, ‚verantwortungsbewusster‘ zu handeln, da ihnen bewusst ist, dass alle Entscheidungen und Handlungen kritisch hinterfragt werden. Unternehmen machen sich zudem bewusst, dass sie mit zunehmender Größe, also mit einer wachsenden Zahl von Stakeholdern, immer mehr Einfluss haben. Ein Beispiel: Planet Fitness, eine Low-Budget-Fitnessstudiokette aus den USA hat rund 10 Millionen Mitglieder (Stand: Anfang 2018) – das ist doppelt so viel wie die Bevölkerung Neuseelands. Stellen Sie sich vor, was Sie erreichen können, wenn sie 10 Millionen Menschen für ein soziales Thema mobilisieren. Les Mills hat diese Reichweite im Rahmen der ‚Workout-for-Water‘-Kampagne in Zusammenarbeit mit UNICEF genutzt. Meiner Meinung nach fordern Kunden, Mitarbeiter und andere Stakeholder zunehmend von Unternehmen ein, dass diese ihren Einfluss für das Gemeinwohl nutzen.
Welchen Stellenwert hat CSR in der Fitnessbranche?
Unternehmen in der Fitnessbranche dienen ja alle in irgendeiner Weise altruistischen Zwecken. Egal ob im öffentlichen oder privaten Sektor – sie wollen Gesundheit und Wohlbefinden ihrer Kunden steigern. Als ich meinen Fitness Sector Social Good Report verfasste, interviewte ich Giles Gibbons, Geschäftsführer der CSR-Agentur Good Business. Eines überraschte mich bei dem Interview besonders: Giles findet nicht, dass Fitnessstudios umweltbewusster und ‚grüner' werden sollten. Seiner Ansicht nach sollten sie es sich zunächst zum wichtigsten Ziel machen, Gesundheit und Wohlbefinden ihrer Mitglieder und Kunden zu steigern. Das ist ihre wichtigste soziale Verantwortung. Natürlich sind wassersparende Duschen und Crosstrainer mit Eigenstromversorgung eine gute Sache, doch die Allgemeinheit hat mehr davon, wenn Fitnessstudios Experten in Gesundheitsförderung und Wohlbefinden werden. Um diesen sozialen Zweck zu erfüllen, müssen Unternehmen in der Fitnessbranche aus dem Kern heraus verantwortlich geführt werden. In dieser Hinsicht genießt die Branche manchmal einen etwas fragwürdigen Ruf. Allzu oft wurde Fitnessstudios aus aller Welt vorgeworfen, nur auf Profit aus zu sein und ihre Kunden mit komplizierten, schwer kündbaren Verträgen zu halten. Stünde ich vor der Entscheidung, ob ich in meinem Fitnessstudio den Papiermüll reduzieren oder die Mitgliederverträge einfacher gestalten soll, weiß ich, wofür ich mich entscheiden würde.
Warum ist CSR besonders für den Privatsektor der Fitnessbranche wichtig?
Seit es Beteiligungsfirmen und Finanzinvestoren, kurz Private Equity, in diesem Sektor gibt, wird immer öfter bemängelt, dass der Profit wichtiger sei als die Gesundheit der Kunden. Der Erfolg von Unternehmen in der Fitnessbranche wird oft ausschließlich an Gewinnen gemessen. Das Leben der Kunden zu verbessern und zu bereichern steht nicht im Fokus. Da Unternehmen heutzutage von der Öffentlichkeit stets kritisch hinterfragt werden, macht es Unternehmen in der Fitnessbranche sehr angreifbar, wenn sie den Ruf haben, einzig und allein auf Profit aus zu sein. Ein schönes Gegenbeispiel ist das Münchner Frauen-Fitnessstudio My Sportlady. Während der Finanzkrise wollten viele Damen ihre Mitgliedschaft kündigen. Viele hatten ihren Job verloren und finanzielle Sorgen. Jasmin Kirstein, die Gründerin des Studios, wollte das vermeiden, denn sie war der Meinung, dass die Kündigung einer langjährigen Mitgliedschaft dem Leben der Betroffenen nur noch mehr Instabilität geben würde. Daher bot sie ihren Mitgliedern an, das Studio kostenlos zu nutzen oder so viel zu bezahlen, wie sie konnten, bis sie wieder einen Job gefunden hatten.[1] Es sind Taten wie diese, die eine große Wirkung haben und sich langfristig auszahlen - jedoch nicht gleich im nächsten Finanzbericht sichtbar sind.
Wie sollten wir den sozialen Einfluss von Fitnessstudios noch messen?
Kürzlich habe ich eine strategische Partnerschaft mit DataHub geschlossen. DataHub ist ein Projekt, das es derzeit nur in Großbritannien gibt. Ziel ist es, täglich die Daten aller Unternehmen in der Gesundheits- und Fitnessbranche zusammenzutragen. Bisher wurden über 400 Millionen Besuche in Fitnessstudios und anderen Einrichtungen erfasst. Ein Modul von DataHub ist u. a. der ‚Social Value Calculator‘, der in Zusammenarbeit mit der Sheffield Hallam University in Großbritannien entwickelt wurde. Mit diesem Modul können wir die Mitgliedschaften von Fitnessstudios analysieren und somit systematisch ihren sozialen Einfluss messen. Wir können beispielsweise feststellen, in welchem Maße ein Fitnessstudio die Gesundheit seiner Mitglieder verbessert, die Kriminalitätsrate bei jungen Menschen verringert, das Wohlbefinden steigert oder das Bildungsniveau verbessert. Anstatt zu beschreiben, wie gut die Mitgliederbindung ist oder wie hoch die Kundenzufriedenheit, können wir nun darüber sprechen, welchen gesellschaftlichen Nutzen ein Fitnessstudio hat. Das klingt für mich deutlich ansprechender und überzeugender.
Welche CSR-Programme im Bereich Fitness finden Sie besonders erwähnenswert?
Ich finde die sozialen Projekte von Cia Athletica großartig, einer brasilianischen Fitnessstudiokette mit 18 Filialen. CEO Richard Bilton will mit seinen Studios den gesellschaftlichen Wandel in Brasilien unterstützen. Als ich ihn in Brasilien besuchte, erzählte mir Richard von einem besonderen Schuh-Projekt, das Cia Athletica ins Leben gerufen hatte. Die Idee: Mitglieder sollten ihre alten Trainingsschuhe mitbringen, wenn sie sie nicht mehr brauchten. Die Schuhe wurden gereinigt, verpackt und an Symap übergeben, eine brasilianische Wohltätigkeitsorganisation, die Lauftraining für bedürftige Menschen anbietet, die sich professionelle Trainingsschuhe nicht leisten können. Cia Athletica sammelte zum Auftakt des Projekts 700 Paar Schuhe. Mittlerweise sind es knapp 4.000 Paar pro Jahr. Ich war von Richards Projekt fasziniert, denn es brachte mich zum Nachdenken. Ich fragte mich, wie groß dieses Projekt werden könnte, wenn Fitnessstudios aus aller Welt teilnähmen. Heutzutage dauert es nicht lange, bis eine Idee an Dynamik gewinnt und verbreitet wird. Darum beschloss ich, Gymtopia (Gymtopia.org) zu gründen, eine Initiative, die weltweit gemeinnützige Projekte in der Fitnessbranche betreut. LES MILLS UK unterstützte mich finanziell bei der Gründung dieser Initiative, wofür ich sehr dankbar bin. Der Gedanke hinter Gymtopia ist, Sozial- und Umweltprojekte zusammenzutragen und zu veröffentlichen, damit andere darauf aufmerksam werden und sie nachmachen können.
Was würden Sie einem Unternehmer sagen, der in Anbetracht knapper Margen zögert, in CSR zu investieren?
Ich würde ihm sagen, dass er CSR nicht als oberflächliche Greenwashing-Maßnahme oder als willkürlichen Akt der Wohltätigkeit betrachten soll. Ich hoffe, dass die Leser verstehen, dass ein verantwortungsvolles Fitnessstudio aus dem Kern heraus entstehen muss. Konzentrieren Sie sich darauf, Ihre täglichen Aufgaben zu meistern – schaffen Sie es, das erfolgreich umzusetzen, übernehmen Sie bereits soziale Verantwortung. Und es kostet nichts, außer ein wenig Zeit.
Haben Sie noch abschließende Anmerkungen?
Wie hebt sich Ihr Unternehmen zwischen all den anderen Fitnessstudios und Anbietern ab und nutzt seinen Einfluss, um einen sozialen Wandel voranzutreiben? Es wird immer deutlicher, dass Kunden von Unternehmen einfordern, dass sie ihren Einfluss für das Allgemeinwohl nutzen und dass Mitarbeiter Teil eines Unternehmens sein wollen, das verantwortungsvoll handelt. Wenn ich heute ein Fitnessstudio leiten würde, würde ich mich darauf konzentrieren.
Ray Algar ist Geschäftsführer von Oxygen Consulting, einer Firma mit Sitz in Großbritannien, die in aller Welt Unternehmen aus der Fitnessbranche mit strategischen Geschäftsanalysen beratend zur Seite steht. Ray gründete mit der Unterstützung von LES MILLS die Online-Plattform Gymtopia, die weltweit soziale Projekte in der Fitnessbranche betreut. Er hat mittlerweile zehn Branchenreports verfasst, in denen er die Entwicklung der Fitnessbranche weltweit analysiert.
[1] Lesen Sie die ganze Geschichte auf Gymtopia