Adam Snow Bramski: „Wir müssen unsere Gefühle zulassen – egal welche.“

Der Welttag für mentale Gesundheit am 10. Oktober ist die ideale Gelegenheit, um innezuhalten und uns Gedanken über dieses wichtige Thema zu machen. Wir haben in einem Gespräch mit dem amerikanischen LES MILLS Instruktor Adam Snow Bramski darüber gesprochen, warum es so wichtig ist, auf psychische Probleme aufmerksam zu machen - in Jahr 2020 mehr denn je.

„Jeder von uns lag schon mal abends im Bett und konnte vor lauter Sorgen, Ängsten, wegen eines Verlustes oder einer Enttäuschung nicht einschlafen, ist dann aber am nächsten Morgen aufgestanden, hat seine Sorgen einfach weggewischt und auf die Frage „Wie geht‘s?“ mit „Gut, danke.“ geantwortet. – Maya Angelou.

Jeder von uns kennt solche Phasen, doch meist fällt es uns schwer, offen darüber zu sprechen. 2020 war ein außergewöhnliches Jahr. Die Corona-Pandemie hat in vielen Angst, Unsicherheit und Sorgen hervorgerufen. Als LMUS-Trainer Adam Snow Bramski auf mich zukam und mir sagte, er wolle über seine persönlichen Erfahrungen mit psychischen Problemen sprechen, um anderen Menschen zu zeigen, dass sie nicht alleine sind, habe ich mich sehr gefreut.

SARAH SHORTT:

Hallo Adam. Ich bin sehr gespannt auf deine Geschichte. Erzählst du uns von deinen Erfahrungen mit psychischen Problemen?

ADAM SNOW BRAMSKI:

Hallo Sarah, wir haben ja schon mal ein Interview geführt. Es trug den Titel „Adam Bramski spricht Klartext“. Irgendwie hatte ich damals Schwierigkeiten mit diesem Titel, denn es gab einen Teil von mir, den ich nicht preisgab. Ich fragte mich, wie vielen Menschen ich hätte helfen können, wenn ich darüber gesprochen hätte.

Alle 40 Sekunden begeht ein Mensch Suizid. Fast 800.000 Menschen nehmen sich jedes Jahr das Leben. Forscher sind der Meinung, dass sich diese Situation noch verschlimmern und in absehbarer Zukunft alle 20 Sekunden ein Mensch Selbstmord begehen wird. Deswegen ist es in Zeiten wie diesen wichtiger denn je, offen über psychische Probleme zu sprechen, denn dieses Thema betrifft jeden von uns. Wenn du selbst bisher keine Erfahrung mit diesem Thema gemacht hast, dann kennst du bestimmt jemanden, den es betrifft. Es sollte normal sein, über diese Dinge zu sprechen, damit Menschen, die psychische Probleme haben, sich nicht allein gelassen fühlen.

Welche Erfahrungen hast du selbst mit psychischen Problemen gemacht?

Mit 15 versuchte ich, Selbstmord zu begehen. Lange erzählte ich niemanden davon, da ich mich sehr dafür schämte.

Nach dem Selbstmordversuch kam ich aus dem Krankenhaus und es wurde einfach nicht darüber gesprochen. Nie. Ich glaube, meine Familie wusste einfach nicht, wie sie mir helfen sollte. Wenn man mit einer Situation überfordert ist, dann bleibt man oft gelähmt. In dieser Starre blieben wir, schwiegen das Thema tot und ich bekam nicht die Hilfe, die ich gebraucht hätte.

Also verdrängte ich alles. Und je länger man Scham und Schuld verdrängt, umso schwerer wird es. Es nahm mir fast die Luft zum Atmen. Das Gewicht auf meinen Schultern wurde immer schwerer und schwerer. Irgendwann fühlte es sich an, als würde ich eine tonnenschwere Last mit mir herumtragen.

“I'd never lifted weights before, I failed gym class in high school – which I had been teased a lot for. So going through BODYPUMP training was definitely stepping outside of my comfort zone.”

Was führte zu deinem Selbstmordversuch?

Nun, zunächst hatte ich Schwierigkeiten mit meiner sexuellen Orientierung. Und ich fühlte mich nicht wohl in meiner Haut: Ich war unsportlich und nicht besonders selbstbewusst. Ich kam einfach nicht mit mir selbst zurecht. Ich spürte so viel Schmerz und wollte einfach nur, dass es vorübergeht.

Doch ich konnte nicht darüber sprechen. Das führte dazu, dass ich mich selbst hasste und mein wahres Ich, meine Gedanken und meine Traurigkeit verbarg. Zu dieser Zeit lernte ich, eine Mauer um mich herum aufzubauen und gewisse Teile von mir zu verbergen.

Nach dem Selbstmordversuch begann ich, mich ständig für alles zu entschuldigen. Das lag wohl an der Art, wie damit umgegangen wurde. In meinem Kopf war der Gedanke „Es tut mir leid, dass ich das getan habe.“ Das führte „Es tut mir leid, dass ich bin, wer ich bin.“ anstatt zu sagen „Ich brauche Hilfe.“ Ich empfand noch mehr Schmerz, denn ich fühlte mich schuldig für das, was ich getan hatte und schämte mich dafür, wer ich war. Ich empfand immer mehr Scham.

Wann hat Fitness dein Leben verändert?

Mit 19 besuchte ich das erste Mal eine BODYPUMP Class. Danach ging ich zum Instruktor und sagte ihm „Ich will das auch unterrichten.“ Zwei Wochen später begann ich mit der Ausbildung.

Ich hatte nie zuvor mit Gewichten trainiert. Beim Gewichttraining in der High School versagte ich kläglich und wurde dafür gehänselt. Die BODYPUMP Ausbildung war daher eine echte Herausforderung für mich und zwang mich, meine Komfortzone zu verlassen.

Wie fühlte es sich anfangs an, zu unterrichten?

Es machte mir große Angst, weil ich so unsicher war. Ich war aber auch unglaublich stolz auf mich, denn ich stand da vor eine Gruppe von Menschen und führte sie durch das Workout obwohl ich gleichzeitig sehr verletzlich war. Alle Blicke waren auf mich gerichtet, womit ich mich ziemlich unwohl fühlte.

Das Unterrichten zeigte mir, dass ich in der Lage war, Menschen dabei zu helfen, sich besser zu fühlen – von innen heraus. Es war ein schönes Gefühl, das Leben anderer Menschen positiv zu verändern. Also ging ich weiter meinen Weg, unterrichtete und trainierte weiter und arbeitete auch an meiner inneren Einstellung.

Du sagtest vorhin, dass du vor deinem Selbstmordversuch Schwierigkeiten mit deiner sexuellen Orientierung hattest. Wie ist es, als homosexueller Mann in der Fitnessbranche tätig zu sein?

Weißt du, womit ich am meisten zu kämpfen hatte? Mit den Vorurteilen! Damit, dass ein schwuler Mann automatisch als schwach, als schlechter oder nicht stark genug gilt. Aufgrund dieser Vorurteile schämte ich mich dafür.

In der Fitnesswelt hat man oft das Gefühl, man muss heterosexuell sein, um als starker Mann anerkannt zu werden.

Doch ich bin stark und ich bin schwul, darum musste ich selbst mit diesen Vorurteilen aufräumen, damit sie mir nicht mehr im Weg standen. Und das war wirklich ermutigend, weil ich schon immer ein Vorbild sein wollte und der LGBTQ+ Community zeigen wollte, dass man stark sein kann – egal, welche sexuelle Orientierung man hat.

“You know what I struggled with the most? The labels around my sexuality - that gay is weak or gay is bad or gay is not strong. It was those labels that made me feel shame about it.”

Du hast auch erwähnt, dass du dich nicht wohl in deiner Haut fühltest. Wie hat sich das durch Fitness verändert?

Früher war ich sehr hart zu mir selbst, vor allem was mein Aussehen betraf. Das war wirklich paradox, denn der Grund, warum ich Sport so liebe, ist das Gefühl, das ich nach einem Workout habe. Dennoch spürte ich den Druck, „gut“ aussehen zu müssen, um den Standards der Fitnessbranche zu entsprechen und weil ich das Gefühl hatte, diesem Standard nicht zu entsprechen, fühlte ich mich selbst nicht würdig oder glaubwürdig.

Doch das änderte sich, als mir bewusst wurde, dass man nicht perfekt sein muss, um andere Menschen zu inspirieren und dass es bei Fitness nicht nur darum geht, ein Sixpack oder einen Knackpo zu haben, sondern dass Fitness auch unserer Psyche guttut. Ich nutzte Fitness, um mich besser zu fühlen und mein Selbstbewusstsein von innen heraus zu stärken.

In der Fitnessbranche ist es gar nicht so leicht, sich nicht mit anderen zu vergleichen. Welche Erfahrungen hast du damit gemacht?

Ich habe mich früher ständig mit anderen verglichen. Das hat eine ganze Weile angedauert. Wenn ich kleine Erfolge erzielte, verglich ich sie mit den großen Erfolgen anderer und hatte dann natürlich das Gefühl, nicht genug gegeben zu haben. Dank Social Media können wir uns jederzeit mit anderen vergleichen. Wir verwechseln die Scheinwelt mit der eigentlichen Realität.

Also ja, ich habe mich früher ständig mit anderen verglichen. Heute konzentriere ich mich mehr darauf, anderen Menschen zu helfen, anstatt mich mit ihnen zu vergleichen. Ich konzentriere mich darauf, die beste Version von mir selbst zu sein, anstatt irgendeiner anderen Person nachzueifern. Jeder Mensch ist einzigartig und hat eine Botschaft, die er mit der Welt teilen will und wenn du versuchst, wie jemand anders zu sein, lässt du dir die Gelegenheit entgehen, deine eigene Botschaft mit Menschen zu teilen, die sie hören sollten. Es gibt Menschen in unseren Classes, die uns lieben und schätzen und sich mit uns identifizieren, einfach weil wir wir selbst sind. Wenn du versuchst, jemand anders zu sein, dann kannst du keine ernsthafte Bindung zu anderen aufbauen.

Wie hilft dir deine Vergangenheit dabei, eine Bindung zu Menschen aufzubauen?

Im Rahmen meiner Arbeit wurde ich oft als „inspirierend“ bezeichnet. Ich wurde auf diesen Thron gesetzt, um andere zu motivieren – was aber niemand wusste war, dass diese Fähigkeit, eine Bindung zu anderen Menschen aufzubauen und mich in sie hineinzuversetzen mit meiner dunklen Vergangenheit zusammenhängt.

Ich musste viel an mir arbeiten, um es dort hin zu schaffen und Fitness hat dabei eine entscheidende Rolle gespielt. Ich glaube, dass sich unser Verhalten im Kursraum auf unser Verhalten außerhalb des Kursraums überträgt. Wenn du deinen Geist und deinen Körper trainierst, um unter Druck in einem Kurs zu arbeiten, dann wirst du auch außerhalb des Kurses diese Stärke haben. In unseren Classes trainieren wir unseren Geist ebenso wie unseren Körper.

Die Arbeit an meinem psychischen Zustand hat dazu geführt, dass alles, was ich tue, erfüllender ist, denn dadurch kann ich heute ich selbst und authentisch sein. Mit meinen Teilnehmern beim Initial Module Training spreche ich direkt aus meinem Herzen. In meinen Classes zeige ich den Teilnehmern mein wahres Ich und kann dadurch auf einer tieferen Ebene mit ihnen kommunizieren. Wenn du den Menschen dein Inneres zeigst, dann ermutigst du sie, dasselbe zu tun.

“With social media, we have the ability to compare ourselves at any given moment. We confuse people’s highlight reel with what’s actually real!”

Wie gehst du heute, nach all der intensiven Arbeit an dir selbst, mit negativen Gedanken um?

Den ersten Gedanken, der dir in den Kopf schießt, kannst du nicht kontrollieren, den darauffolgenden aber schon. Mittlerweile kann ich das Muster viel schneller durchbrechen, negative Gedanken ablegen oder meinen körperlichen Zustand ändern. Ob ich negative Gedanken habe? Absolut. Das ist völlig normal. Das kennt jeder von uns. Allerdings lasse ich mich nicht mehr davon lenken.

Eine große Hilfe ist dabei auf jeden Fall Sport. Ich mache mir BODYATTACK Musik an und springe ein bisschen herum – das ist die beste Medizin! Oder ich gehe raus und rocke ein Workout. Außerdem meditiere ich jeden Morgen und habe angefangen, ein Dankbarkeitstagebuch zu schreiben. Jeden Morgen schreibe ich 10 Dinge auf, für die ich dankbar bin. Diese Morgenroutine hilft mir sehr.

Welchen Rat hast du für Instruktoren, die gerade eine schwere Zeit durchmachen?

Ich würde ihnen sagen: Der Schmerz, den du empfindest, ist aus einem bestimmten Grund da. Versuche, gestärkt daraus hervorzugehen und nutze den Schmerz, um anderen Menschen zu helfen, denn in unseren Classes gibt es sicher viele Teilnehmer, die dieselben Probleme haben.

Den Menschen ist es wichtiger, dass wir authentisch sind, als dass wir perfekt sind. Darum ist es wichtig, dass wir nahbar, echt und ungeschönt mit ihnen kommunizieren. Die negativen Dinge sind ebenso wichtig wie die positiven. Jeder kennt Schmerz. Und darum ist es so wichtig, offen darüber zu sprechen, denn so ermutigst du andere, ihre Sorgen zu teilen, die sie vielleicht schon viel zu lange in sich hineingefressen haben.

In der Fitnessbranche, besonders in der Instagram-Welt hört man oft „Good Vibes only!“, als wären nur positive Gedanken erlaubt. Doch wir müssen unsere Gefühle akzeptieren –egal welche. Ich finde es völlig normal, über alle Stimmungen zu sprechen, denn nur wenn du dich öffnest, kannst du deine Seele heilen.

Psychische Probleme zu haben bedeutet einfach, dass du sehr viele Emotionen auf einmal hast und das ist absolut nichts, wofür man sich schämen müsste. Und es gibt so viele Angebote, die uns helfen können. Von da, wo ich heute bin, kann ich aus voller Überzeugung sagen, wie großartig es ist, psychisch gesund zu sein und dass sich der Weg zu 100 % lohnt.

Lies hier mehr zum Welttag für psychische Gesundheit.

Adam Snow Bramski ist Mitglied des amerikanischen TAP-Teams und Trainer für BODYATTACK, BODYPUMP, GRIT, SPRINT und THE TRIP. Er ist außerdem Mitgründer von Cultiv8 Coaching und eine wichtige Stimme in der LGBTQIA+ Community sowie in Communities für psychische Gesundheit.